Assistenz-Software

Was ist Assistenz-Software?


In unseren Nachbarländern ist es sehr verbreitet, legasthenen Schüler/innen in Schule, Ausbildung und Studium unterstützende Computerprogramme zur Verfügung zu stellen. Die Betroffenen können so mit den anderen mithalten und einen Abschluss erreichen, der ihren Fähigkeiten entspricht.

Die Programme helfen beim Lesen, indem sie vorlesen. Sie helfen beim Schreiben, indem sie Rechtschreibvorschläge machen und den selbst verfassten Text vorlesen. Je nachdem für welches Programm man sich entscheidet, gibt es noch verschiedene Werkzeuge, mit denen man den Text strukturieren kann. Man kann farbige Markierungen setzen oder Mindmaps von den Inhalten erstellen.

Die Software wird auf einem Notebook oder Tablet installiert oder mit Hilfe eines Sticks mitgenommen und auf jedem beliebigen Computer aktiviert, an dem der Betreffende gerade arbeitet.

Einsatz von Assistenz-Software in der Lerntherapie


Seit 2010 setze ich Assistenz-Software in meiner Praxis ein. Da ich mit Kindern und Jugendlichen ab der 5. Klasse schwerpunktmäßig im Bereich Englisch arbeite, bietet sich dies aus zweierlei Gründen an. Zum einen sind meine Schüler/innen in einem Alter, in dem der Einsatz des Computers sowieso sinnvoll ist (Textverarbeitung, Präsentation, Recherchen im Internet, Benutzung von Lernsoftware etc.), zum anderen besteht im englischsprachigen Raum traditionell eine andere Kultur, was die Unterstützung legasthener Schüler/innen betrifft. Das Vorlesen von Aufgabenstellungen und Texten sowie das Unterstützen beim Schreiben durch jemanden, der die Verschriftung für den Schüler vornimmt, ist hier üblich (reader and scribe).

Die erlernten Techniken lassen sich für alle Sprachen und Fächer einsetzen und stellen eine gute Vorbereitung für Ausbildung und Berufsleben dar. Auch für Menschen ohne Beeinträchtigung im Lesen und Schreiben können diese Programme eine Bereicherung sein. Sie können beim Korrekturlesen helfen.

Genau wie alle anderen Materialen im Legasthenietraining kommen auch Computerprogramme ganz gezielt - und auf den Einzelfall ausgerichtet - zum Einsatz.

Es ist nicht beabsichtigt, das Schreiben mit der Hand durch das Schreiben mit dem Computer völlig zu ersetzen. Es geht um ein Nebeneinander verschiedener Techniken. Sehr geeignet ist die Unterstützung durch den Computer vor allem für jene Menschen, die eine schwere Legasthenie und/oder eine grapho-motorische Störung haben, das heißt: für jene, deren Schrift man nicht lesen kann.

Die Schüler, die in meine Praxis kommen, haben in den meisten Fällen bereits eine mehrjährige Therapie hinter sich. Ich setze den Computer vor allem dann zur Unterstützung ein, wenn trotz qualifizierter Lerntherapie eine erhebliche Restsymptomatik vorhanden ist. Das heißt, dass die Schüler beim Lesen und der Bearbeitung von Texten verlangsamt sind. Sie machen eine große Anzahl von Schreibfehlern und können ihre Gedanken nur sehr schwer schriftlich ausdrücken.

Des weiteren kommt der Computer vorrangig dann zum Einsatz, wenn ein Schüler nicht mit Texten und Übungen auf Papier arbeiten will. Einen Text in einem Buch mag er nicht lesen, aber am Bildschirm liest er. Aufgaben, die auf dem Computer präsentiert werden, erledigt er gern, auf Papier präsentiert, hätte er keinen Spaß an der Aufgabe. Hier sei angemerkt, dass die Schüler nach einem langen Schultag zu mir in die Praxis kommen.

Viele legasthene Menschen arbeiten sehr gern mit Computern und sind im Umgang damit überaus geschickt. Ich unterrichte aber auch Jugendliche, die nicht gern mit Computern arbeiten und lieber mit der Hand schreiben. Manche haben eine schöne Handschrift und großes gestalterisches Talent. Jeder sollte die Lern- und Schreibtechniken auswählen dürfen, die ihm liegen.

Wir haben in unserer Gesellschaft im Prinzip alles was wir brauchen zur Verfügung, wenn es um die Materialien geht! Was es aber auch braucht, ist Zeit, damit wir zusammen mit den Jugendlichen gangbare Wege finden. Die Zeit sollten wir uns nehmen, denn es handelt sich um sehr talentierte Jugendliche, auf deren Beitrag für unsere Gesellschaft wir nicht verzichten können.

Werden die Schüler durch den Einsatz von Assistenz-Software faul? Welche Gefahren gibt es?


Ich bin der Ansicht, dass man eine Balance zwischen fördern und technischer Unterstützung anstreben sollte. Der Schüler sollte an die Grenze dessen gehen, was er selbst durch eine entsprechende Förderung erreichen kann. Viele meiner legasthenen Schüler schreiben englische Worte nahezu fehlerfrei, nachdem sie ein Rechtschreibtraining absolviert haben.

Es sollte jedoch noch viel mehr berücksichtigt werden, zum Beispiel dass sich die betroffenen Schüler chronisch überanstrengen, wenn sie keine wirkungsvolle Unterstützung beim Umgang mit ihren Beeinträchtigungen erhalten. Ich habe in meiner Praxis bisher sehr selten erlebt, dass ein Kind sich faul zurückgelehnt hat. Regelmäßig erlebe ich aber die Situation, dass ein Schüler und auch seine Familie unter Symptomen der Überanstrengung leiden. Man sollte sich in Deutschland meiner Ansicht nach mehr Gedanken um die psychischen Folgen des Unterlassens des Einsatzes der international üblichen Hilfsmittel machen als aus der Angst heraus, es könnte die Faulheit stärken, den Einsatz dieser Mittel zu verweigern.

Der Einsatz von Computern und Medien sollte immer besprochen und begleitet werden. Der Umgang mit den Medien und Computerprogrammen sollte in einer angemessenen Weise erlernt werden. Es fällt nicht jedem leicht, bloß weil er jung und mit den digitalen Möglichkeiten aufgewachsen ist.

Schüler mit Lernschwierigkeiten oder Lernsstörungen brauchen immer eine individuelle und qualifizierte Begleitung. Der Computer darf nicht ein Auffangbecken für die Schüler sein, die keine ausreichende pädagogische oder therapeutische Unterstützung erhalten. Nach dem Motto "Der Computer wird's schon richten."

Der Computer darf ncht die multisensorische Arbeit ersetzen. Er sollte im Unterricht oder im Legasthenietraining ein "Werkzeug" von vielen sein. Je jünger ein Kind ist, desto mehr sollte es den Lernstoff mit den Händen (be)greifen und in konkreten Situationen selbst erleben.
Meiner Ansicht nach ist das 10-Finger Tastschreiben eine wichtige Basisfertigkeit für den Computereinsatz sowohl im Unterricht als auch im Legasthenietraining. Da es sehr schwer ist, falsch erlernte Bewegungsabläufe im Nachhinein zu korrigieren, empfehle ich, das Tastschreiben gleich zu Beginn des Einsatzes des Computers zu erlernen.